Frühjahr
1943, Bombenalarm, heulende Sirenen, dröhnende Flugzeuge am Himmel über
München. Ein kleiner Junge, gerade einmal 11 Jahre alt, steht voller
Panik vor dem Eingang zum Luftschutzbunker an der Luisenstraße, trägt
einen gelben Stern auf der Brust. Man verwehrt ihm den Zutritt. Aus
lauter Verzweiflung stürzt er in den nahegelegenen Alten Botanischen
Garten und kriecht unter die Büsche. Nur knapp entgeht er dem Tod. 75 Jahre später. Die ganze Mensa ist gefüllt mit den Schülern der 9. Klassen des Dantegymnasiums, alle den Blick auf eben diesen Menschen gerichtet, der vorne auf der Bühne steht und seine Lebensgeschichte erzählt: Ernst Grube. Geschichtsunterricht einmal anders. Wir Schüler haben heute die einmalige Chance, den Erzählungen einem der letzten Zeugen einer Zeit, die man sich jetzt gar nicht mehr vorstellen kann und möchte, von seinen Erfahrungen in der Nazizeit in Judenghettos und auch seinem Leben danach zuzuhören und Fragen zu stellen. |
Die zwei Schulstunden beginnen mit einem Film, der uns Schülern einen ersten Einblick in sein Leben ermöglicht. Wir sehen Bilder von seiner Familie. Er erzählt viel von seinen Eltern. Er ist der Sohn einer jüdischen Mutter und eines Vaters, der sich in der KPD, der Kommunistischen Partei Deutschlands, betätigt. Als Achtjähriger wird er gezwungen, den Judenstern als Erkennungsmerkmal zu tragen. Von Nachbarskindern wird er deshalb immer wieder mit Sätzen wie „Hau ab, du Judensau!“ beschimpft. Ernst Grube erzählt, der Vater wäre mit den Kindern deshalb oft auch ohne dieses Zeichen auf die Straße und zu Orten gegangen, die für Juden verboten waren. Eine weitere Geschichte, die sich einprägt, ist die des Radios der Familie. Mit eben diesem Radio hört die Familie ausländische Sender, um an Informationen über den Kriegsverlauf, frei von Nazipropaganda, zu gelangen. Als ihnen dieses von Soldaten abgenommen wird, findet sich der Vater jedoch nicht damit ab, und kommt, so Grube, eines Tages mit dem Radio zurück: „Das ist mein Radio, das lass ich mir nicht nehmen“. |
Doch dann wird die Familie getrennt. Die Eltern bringen die drei Geschwister in ein Heim für jüdische Kinder. Grube beschreibt die Zeit dort als sehr positiv und das Heim wird für ihn bald wie eine zweite Heimat. Bis zu dem Tag, an dem ein Teil der Kinder abgeholt und in Vernichtungslager deportiert wird. 1942 werden auch die verbliebenen Heimkinder, darunter die Grubekinder, welche „nur Halbjuden“ sind, in ein Sammellager in Milbertshofen gebracht. Unter unmenschlichen Bedingungen sind die Gefangenen, die nur noch auf ihren Abtransport in die Vernichtungslager im Osten warten, gezwungen, ihre Baracken selbst zu errichten. 1945, das Ende des Krieges scheint schon absehbar, es kann eigentlich nicht mehr lange dauern, bis die Alliierten da sind. Die Familie glaubt nun sicher vor den Konzentrationslagern der Nazis zu sein. Doch dann die schreckliche Gewissheit: Die Nazis geben immer noch nicht auf. Die Geschwister und die Mutter werden in das Judenghetto Theresienstadt deportiert. Ein paar Monate später kommt aber doch die Rettung durch russische Soldaten der „Roten Armee“. |
Nach seiner Rückkehr in München wird Grube, wie der Vater, Mitglied der KPD. Bei einem Protest gegen die Wiederbewaffnung in Deutschland, prügeln Polizisten auf ihn ein, er wird festgenommen und zu 7 Monaten Haft verurteilt. 1956 wird die KPD verboten, sowie jegliche Ersatzorganisationen. 3 Jahre darauf sitzt er wieder im Gefängnis, weil er sich gegen das Verbot gestellt hatte. Dies hindert ihn jedoch nicht daran, sich bis heute aktiv für die Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit und gegen das Vergessen zu engagieren. So versucht er als Zeitzeuge, unter anderem an Schulen, darauf aufmerksam zu machen, nicht die Augen vor der Vergangenheit zu verschließen, sondern im Gegenteil Erzählungen wie die seine in den Köpfen zu bewahren, damit sich eine solch grausame Zeit, fernab jeglicher Menschlichkeit und Empathie, niemals wiederholt. |
Johanna Soier, 9a |