Dante Alighieri (1265 – 1321)

Der Mensch

Wer war denn überhaupt dieser Dante, nach dem unsere Schule benannt ist? Ein mittelalterlicher italienischer Dichter, meist dargestellt mit einer markanten Hakennase und lorbeerbekränzt, wie auch die Büste im Eingangsbereich unserer Schule bestätigt, berühmt geworden durch sein Hauptwerk, Die Göttliche Komödie, (La divina commedia), das gar keine Komödie im landläufigen Sinn ist, sondern ein Epos, und das Dante selbst auch nicht »göttlich« genannt hat, sondern sein erster großer Interpret Giovanni Boccaccio, Verfasser des Decamerone.
Warum aber ausgerechnet Dante? Weil den Verantwortlichen bei Gründung der Schule vor knapp 30 Jahren kein besserer Name eingefallen ist, oder weil an unserem Gymnasium Italienisch als Dritte Fremdsprache unterrichtet wird und der Lehrplan der Oberstufe die Lektüre Dantes so vorsieht wie der Englischlehrplan die Shakespeares? Warum gibt es in München dann kein Shakespeare-Gymnasium, kein Flaubert-Gymnasium, kein Seneca-Gymnasium? Vielleicht ist es sinnvoller, andersherum zu fragen und zu untersuchen, was die Figur Dante Alighieris auszeichnet und welche Schlussfolgerungen wir aus dem Namen unserer Schule ziehen könnten?

Dante war zunächst nicht in erster Linie Schriftsteller im heutigen Sinne, sondern Gelehrter und Kommunalpolitiker seiner Heimatstadt Florenz, in deren Diensten er auch vielfältige diplomatische Aufträge wahrnahm. Qualifiziert für diese Aufgaben hatten ihn seine Herkunft aus dem niedrigen Adel der Stadt und eine im mittelalterlichen Sinne umfassende Ausbildung in Jura, Rhetorik, Philosophie und Theologie. Doch die vielversprechende Karriere des jungen Mannes, zu der es natürlich auch gehörte, die angebetete Geliebte in Gedichten zu verherrlichen, erfährt im Jahr 1302 einen jähen Knick:

Nel mezzo del cammin di nostra vita mi ritrovai in una selva oscura.

(In der Mitte meines Lebenswegs fand ich mich wieder in einem dunklen Wald.)

Dies sind die Eingangsverse der Divina commedia, die wir sehr leicht auf Dantes Biographie beziehen können: Er wird von seinen politischen Gegnern aus Florenz verbannt, bei Rückkehr droht ihm die Todesstrafe. Doch der bedrohliche Wald ist nicht nur Sinnbild der persönlichen Desorientierung eines Individuums, sondern steht für die politische und kulturelle Zerrissenheit von Florenz und Italien insgesamt, an der der Intellektuelle Dante leidet und die er überwinden will.

Die Politik

In dem seine Zeit beherrschenden europäischen Konflikt zwischen römischem Papst und deutschem Kaiser, unter dem besonders die nord- und mittelitalienischen Klein- und Stadtstaaten zu leiden haben, nimmt Dante zunächst auf Seiten der ‘weißen’ Guelfen einen mittleren Standpunkt ein, von dem aus sich Florenz in gleicher Distanz zu Kaiser und Papst möglichst viel politischen Freiraum erhalten soll. Den papsttreuen ‘schwarzen’ Guelfen ist der auf Ausgleich bedachte Diplomat Dante ein Dorn im Auge, sie entheben ihn in Abwesenheit seiner Ämter und verbannen ihn aus der Stadt. In der zweiten Hälfte seines Lebens kommt Dante auch durch seine Erfahrungen im diplomatischen Dienst vieler oberitalienischer Herren mehr und mehr zur Überzeugung, dass nur die strikte Trennung von geistlicher und weltlicher Macht, ein vereinigtes Europa unter einem aufgeklärten weltlichen Herrscher den mörderischen Kriegen und Machtkämpfen ein Ende bereiten könnten. Seine Überlegungen schreibt der Gelehrte nieder in dem lateinischen Traktat De monarchia (ca. 1313). 1315 bieten die Herren von Florenz Dante die Rückkehr an, zu Bedingungen, die denjenigen für begnadete Kriminelle entsprechen. Er bleibt im Exil und wird ein weiteres Mal zum Tod verurteilt. Nie wieder kehrt er nach Florenz zurück. Er verbringt den größten Teil des Restes seines Lebens in Verona und stirbt schließlich in Ravenna, wo er auch begraben liegt.

Die Kultur

Dante muss erkennen, dass übergeordnete politische Strukturen nur dann funktionieren, wenn sich die in ihnen Lebenden mit ihnen identifizieren und in ihnen kommunizieren können. Er begreift, dass ein Gemeinwesen nur dann überlebensfähig ist, wenn diejenigen, die ihm angehören, ‚eine gemeinsame Sprache sprechen‘. Dies ist der Anstoß für ihn, neben der Gelehrtensprache Latein auch die Sprache des Volkes, das volgare, in seinem Fall den Dialekt der Toskana, als Schriftsprache zu verwenden. Fasst er auch seine theoretischen Überlegungen hierzu auf Lateinisch ab (De vulgari eloquentia, 1305), so entscheidet er sich als Literat für das volgare und begründet im Wesentlichen damit, insbesondere in seinem Hauptwerk, der Divina Commedia, die italienische Literatur und die italienische Sprache. Erst auf der Basis der Werke Dantes wird eine Herausbildung der kulturellen Identität Italiens und, sehr viel später, der politischen Einheit möglich. Wozu also ermahnt uns mehr als 650 Jahre nach seinem Tod im Exil in Ravenna der hakennasige, lorbeerbekränzte Kopf, unter dessen strengem Blick wir täglich hindurchmarschieren und dessen Name uns auf jedem Briefkopf, auf jedem Formular und in jedem Gespräch über die Schule begegnet? Nicht in erster Linie zur Ehrfurcht vor der Vergangenheit, zur musealen Bewunderungen eines Großen der Weltliteratur, sondern zur Überwindung engen Schubladendenkens durch ganzheitliche Bildung, zum Kampf gegen Extreme und Dogmatismus, zur Bewahrung der kulturellen Identität in der europäischen Vielfalt und letztlich zum Bemühen um die Versöhnung von Geist und Macht. Auch wenn Dante selbst daran gescheitert ist, ist ein Dante-Gymnasium der Ort, an dem dieses Erbe des Florentiners besondere Bedeutung haben muss.

Dr. Andreas Jäger